AURICH – 15 Kinder und zwei Erzieherinnen frühstücken im Wallinghausener Wald zwischen den Bäumen. „Kein Tischdecken, kein Stress, kein Abwasch“, sagt Sabine Matthiesen, die zusammen mit Manuela Hirschmann den Waldkindergarten Aurich leitet. Kürzlich feierte er sein 25-jähriges Bestehen. Die Idee, Kinder in der Natur zu betreuen, entstand bereits 1953 in Dänemark und brauchte noch 40 Jahre, bis sie nach Deutschland kam. Der Waldkindergarten Aurich, den Waltraud Campen 1996 gründete, war der erste in Ostfriesland. Heute gibt es in Ostfriesland sieben Waldkindergärten, bundesweit rund 1500. Die Auricher Waldkinder sind an diesem Tag an ihrem „Badewannenplatz“. Der heißt so, weil es zwischen den Bäumen viele Kuhlen und Gräben gibt. „Die kann man schnell mit Blättern oder Tannenzapfen füllen und dann darin ‚baden‘“, erklärt Matthiesen. Im Wallinghausener Wald kennen die Kinder unzählige solcher Plätze. Welchen sie aufsuchen, wird spontan entschieden. „Sicher ist, dass wir montags nicht zu den Eierbergen gehen“, sagt Matthiesen. „Das ist einer der drei, vier Plätze, zu dem die Regelkindergärten dann gern gehen. Und wenn wir dazukommen, wird es zu voll.“ Das Frühstück ist schnell verputzt, die Kinder stürzen sich ins Abenteuer zwischen den Bäumen. Einige Jungs bauen aus herumliegenden Stämmen eine Brücke über einen Graben. Marie und Frida wiederum schnappen sich mitgebrachte Seile und üben Seilspringen. Wenig später kommen sie strahlend zurück. 32 Sprünge haben sie geschafft. „Vor zwei Wochen konnten sie noch keinen einzigen“, sagt Manuela Hirschmann bewundernd. Die motorischen Fähigkeiten werden in dieser Umgebung besonders trainiert. „Die ganze Feinmotorik entwickelt sich weiter“, sagt sie. Das gehe so gut, dass die Kinder auch lernen könnten, mit Säge und Taschenmesser umzugehen. Dafür machen sie Kurse und bekommen quasi Führerscheine. Auch Achtsamkeit und Sprachentwicklung werden gefördert. „Man muss immer erklären, was man gerade macht, weil man kein eindeutiges Spielzeug wie eine Puppe oder ein Auto hat“, sagt Matthiesen. „Das erfordert eine hohe Kommunikationsbereitschaft. Gleichzeitig müssen die Kinder umsichtig sein und aufpassen, dass sie etwa mit langen Stöcken oder Baumstämmen niemanden verletzen.“
„Schlampi“ kommt zum Einsatz Achtsam ist auch Karla. Sie hat auf dem Waldboden eine Glasscherbe gefunden. „Da sind noch mehr“, sagt sie auf den Fundort zeigend. „Schlampi“ kommt zum Einsatz, eine Grillzange, mit der Müll aufgehoben wird. Die Waldkinder kommen aus der ganzen Stadt. Marvin Stasiak vom Vorstand des Waldkindergarten- Vereins bringt seine Tochter aus Haxtum nach Wallinghausen. „Das ist einmal mit dem Fahrrad quer durch die Stadt“, sagt er. „Aber es war eine bewusste Entscheidung, dafür nimmt man auch solche Fahrten in Kauf.“ Als fortschrittlicher oder in anderer Hinsicht überlegen sehen sich aber weder Eltern noch Erzieher. „Beide Konzepte, Waldund Regelkindergarten, haben ihren Sinn und ihre Stärken“, betonen Matthiesen und Hirschmann. „Abgesehen davon gibt es auch Kinder, die sich in einem geschützten Haus einfach wohler fühlen“, sagt Hirschmann. „Selbst dann, wenn die Geschwister schon bei uns waren und es genossen haben. Das wundert die Eltern dann auch, aber letztlich geht es immer darum, was für das Kind am besten ist.“ Zudem hat auch die Natur ihre Tücken, betont Matthiesen. „Zecken sind immer ein Thema, auch wenn Aurich kein Risikogebiet für entsprechende Infektionskrankheiten ist. Trotzdem tragen die Kinder immer langärmlige Kleidung und eine Kopfbedeckung, auch im Sommer. Und die Eltern suchen die Kinder immer wieder ab.“ Und dann gibt es im Wald noch Wildtiere. „Natürlich ist auch der Wolf ein Thema oder Wildschweine“, so Matthiesen. „Wir müssen uns darüber immer informieren. Dabei haben wir den Vorteil, dass unser Waldbüro im Südeweg direkt über dem Büro der Niedersächsischen Landesforsten liegt. So haben wir immer kurze Wege.“ „Generell ist die Naturpädagogik ein sinnvolles Konzept“, sagt auch Ingrid Meyer, Fachbereichsleiterin Pädagogik bei der Kreisvolkshochschule (KVHS) Aurich. „Wir haben im Landkreis zum Glück ein breites Angebot an Konzepten von Montessori über Waldorf bis zu integrativen Kindergärten, und da passen die Waldkindergärten sehr gut hinein.“